Grenzen gibts nur im Kopf

Kennt ihr den Spruch: „Angst führt dazu, dass wir uns mit weniger zufrieden geben, als möglich wäre.“? Nun, jeder Mensch hat Ängste, setzt sich dadurch selbst Grenzen, macht die eigene Welt kleiner. Warum das heute gerade mein Thema ist? Weil wir nach einer Woche Arbeits-Urlaub aus Tirol zurück sind. Und das waren einige Ängste und Herausforderungen.

Zunächst einmal – unser Leben ist schwieriger geworden, seit mein Mann vor einem Jahr die Diagnose Querschnittslähmung bekam. Zuhause sind wir inzwischen ein eingespieltes Team, alles hat seinen Platz und der Tag ist strukturiert. Und Peter kann Vieles selbst bewältigen. Aber wie wird es in einem Hotel sein, andere Räumlichkeiten, barrierefrei zwar laut Internet, aber natürlich nicht so viel Platz und Komfort wie zuhause.

Und dann meine eigene große Herausforderung – die Fahrt dorthin. Ich fahre gut Auto, aber ich fahre nicht gern und bei längeren Strecken hab ich einfach ein Unbehagen um nicht zu sagen Angst. Früher war ich Beifahrer, alle Partner meines Lebens sind immer sehr gern Auto gefahren, keine Frage also, dass sie das auch auf längeren Strecken getan haben. Und natürlich ist es derzeit anders, Einkaufen, Fahrten zum Arzt und jetzt eben über 400 Kilometer vom Neusiedler See nach Tirol.

Um es vorweg zu nehmen – wir haben alles gut geschafft. Natürlich sind viele Dinge mühsamer als zuhause. Hotelessen, Ruhepausen (Peter muss dazwischen liegen), nur ein Raum und wenn es regnet, mit Rollstuhl nicht so prickelnd. Aber wir waren dank moderner Technik mit einer barrierefreien Gondel ganz oben am Berg, hatten beruflich mit vielen lieben Menschen zu tun, gute Luft und beim Aufwachen die Berge vor der Tür.

Und ja, ich hab auch zweimal die Strecke sehr gut bewältigt, beim Rückweg sogar mehr als souverän. Nein, ich hab immer noch großen Respekt vor Baustellen mit einem Fahrstreifen von nur 2,1m. Da überlege ich schon, ob ich 16km hinter einem LKW herfahre oder überhole. Lange Tunnel, nach wie vor ein Alptraum. Und ein Berufsfahrer wird sicher nie aus mir. Aber, weil ich mich überwunden habe, ist meine Welt größer geworden. Und die kleineren Herausforderungen sind jetzt keine mehr. Wer es nach Tirol geschafft hat, für den ist die Fahrt nach Wien Peanuts.

Viele Menschen beschränken sich ständig durch ihre Ängste, ihre Vorurteile, ihr „ich kann das nicht“ – erlernte Hilflosigkeit nennt es die Wissenschaft. Man redet sich Handicaps ein und Grenzen, die nur in unserem Kopf existieren, nirgends sonst. Natürlich muss man nicht jede Angst überwinden und nicht jedes Handicap lässt sich einfach so beseitigen. Ich sehe keinen Sinn darin, meine Spinnen-Phobie psychologisch auszumerzen, zu selten verirrt sich mal eine in meine Welt. Und es hat für mich keinen Wert, daran zu arbeiten. Wenn ich aber einen großen Wunsch damit verbinden würde, wenn es darum ginge, mich meinen Träumen und Lebenszielen näher zu bringen, doch, dann lohnt es sich.

Ich hatte die ersten 10 Jahre meines Lebens einen extremen Sprachfehler. Nur Menschen, die mir sehr nahe standen und mir zugetan waren, konnten mich zeitweise verstehen. Und ihr könnt mir glauben, meine Schulkameraden waren das nicht. Ich wurde gemobbt und verunsichert, noch dazu war ich pummelig und im Sport einfach grottenschlecht, dafür ständig die Nase in Büchern. Heute spreche ich vor Menschen, wie ich glaube, nicht so schlecht, und verdiene damit mein Geld. Mollig bin ich noch immer, aber mit 60 schauen die Menschen meiner Umgebung auf andere Dinge als meine Figur.

Auch beim Lernen haben viele Menschen diese Ängste. Schaff ich das? Ohne Abitur/Matura? In meinem Alter? Mit 4 Kindern? Vor allem ältere Menschen glauben, Lernen sei nur etwas für junge Leute. Früher, als man jung war, hatte man das Geld nicht oder die Zeit, heute könnte man es sich leisten, aber man hat Zweifel.

Oder beruflich was Neues auszuprobieren, ein Nebenjob vielleicht. Menschen erzählen mir, Büro ist so langweilig, sie würden gern „was mit Menschen“ machen. Wenn man ihnen dann genau das bietet (mehr mit Menschen als in meinem Team geht nicht), dann kommt reflexartig die Angst – kann ich das schaffen, ist das was für mich? Wie kann man das wissen, wenn man es nicht ausprobiert?

Wer immer nur das tut, was er schon gut kann, für den gibts keine Entwicklung. Blumen kaufen, zum Friedhof gehen, warten, bis ein Grab frei wird.

Also – trau dich. Eine Ausbildung, ein Nebenjob, eine neue Herausforderung und einfach schauen, wo das Leben einen dann hin spült.

Ach ja –  nächstes Jahr Toskana schaffe ich auch.