Jedem seine Galoppstrecke

Ich möchte heute eine Geschichte erzählen, die ich schon in einem meiner inzwischen vergriffenen Bücher erzählt habe, die Geschichte von der Galoppstrecke. Es geht um Ängste, es geht darum, wie wir in allem was wir tun, genau das bekommen, was wir aussenden.

Die Geschichte spielt vor vielen, vielen Jahren, als ich mir mit Reitstunden noch mein Studium verdient habe.  Der Reitstall, in dem ich auch mein eigenes Pferd stehen hatte, hatte in den Sommermonaten eine Zweigstelle in den Alpen, wo es für Touristen geführte Ausritte gab. Und wir als abenteuerlustige Studenten haben uns da was dazu verdient, so ein wenig wie Skilehrer, nur ohne Ski, dafür mit Pferd.

Nun ist es so, dass Pferde Fluchttiere sind, die nicht lange nachdenken, ob die Gefahr auch wirklich eine Gefahr ist. Sie rennen zuerst und bedenken es dann aus sicherer Entfernung. Außer natürlich, die Leitstute signalisiert – alles in Ordnung. In einer Herde verlässt sich jeder darauf, dass dieses Leittier schon weiß, was gut ist, ansonsten müssten alle ständig aufmerksam sein, was viel Energie bündeln würde. Nun, und beim Reiten ist eben der Reiter dieses Leittier.

Vor allem in Ferienorten melden sich nun viele Menschen zu solchen Ausritten an, die wenig bis keine Erfahrung mit Pferden haben, einfach weil man in angenehmer Urlaubslaune mal ausprobieren kann, was man sich schon immer gewünscht hat. Und sehr viele von diesen Wunscherfüllern haben im Grunde Angst. Nicht nur Respekt – das haben auch gute erfahrene Reiter lebenslänglich, sondern wirklich Angst. Vor allem vor der schnellsten Gangart, dem Galopp. Diese ängstlichen Menschen erkennt man schon beim Aufsteigen, was aber viel schlimmer ist, auch das Pferd erkennt das. Und zwar schon auf 15 Meter Entfernung, wenn der zukünftige Reiter heran kommt. Und denkt sich so: „Mein Leittier fürchtet sich. Ich hab noch nicht gesehen, wovor, es könnte aber der Säbelzahntiger sein, jetzt heißt es – Achtung. Jederzeit bereit zum Rennen.“

Der ängstliche Reiter wiederum interpretiert: “ Mein Pferd ist aber besonders unruhig und angespannt. Sicher so ein ganz schwieriges, nervöses. O mein Gott, warum musste ich auf diese blöde Idee kommen. Hoffentlich wird es nicht zu schnell.“

Wer jetzt glaubt, ein Pferd würde das tun, was der Anfänger auf seinem Rücken vorgibt, der irrt natürlich. Pferde, auf die man Anfänger überhaupt aufsteigen lässt, tun das, was die Pferde vor ihm tun. Und sie haben sich von gestern und vorgestern und all den Tagen davor auch gemerkt – dort hinten bei dem Busch mit den weißen Blüten da galoppieren wir immer an.

Und da das Pferd schon die ganze Zeit eigentlich rennen will, weil ja das Leittier auf seinem Rücken Angst hat, ist es heilfroh, wenn dieser Busch mit den weißen Blüten endlich kommt. Und da gibt es dann kein gemütliches langsames Angaloppieren, sondern das Pferd, inzwischen leicht panisch, prescht los, der Reiter meistens nicht, wenn Sie wissen, was ich meine.

Natürlich hätte ich auch einfach sagen können – Angst ist wie so viele Dinge eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn ich glaube, ich kann das oder wenn ich glaube, ich kann das nicht, ich werde immer recht behalten. Wenn ich aber mit Angst auf andere Menschen zu gehe, beispielsweise, weil ich ihnen ein Produkt oder eine Dienstleistung verkaufen will, der Moment, wo ich den Preis nennen muss oder sonst irgendwas, was ich von ihnen verlangen muss, eine Unterschrift zum Beispiel, Kontodaten oder eine Entscheidung, dann haben die meisten Menschen genau diesen Moment der Galoppstrecke.

Und nein, unsere Mitmenschen, die genau das spüren, werfen uns nicht ab, aber sie sind auf der Hut. Sie löchern uns mit Fragen (meistens genau denen, vor denen wir uns auch wieder fürchten, weil wir keine Antwort wissen), wir ernten mehr „Neins“ oder „Vielleichts“ oder „Ich überleg es mir noch“. Manchmal kommt auch ein Angriff, weil das für viele Menschen ebenfalls ein Muster gegen die Angst ist, vorpreschen und mal die Waffe zücken.

Wer vor lauter Angst vor der schnelleren Gangart am liebsten nur dahin schleichen würde, nur dem Kunden nicht die Wahrheit sagen, nichts fordern, nichts verlangen, schon gar keinen vernünftigen wertschätzenden Preis, der wird sich immer unter Wert verkaufen.

Arbeiten Sie also mal an Ihrer ganz persönlichen Galoppstrecke.