Abnehmen heißt auch frei sein
Ich oute mich, ich hab mich jahrelang selbst beschwindelt. Nicht mit böser Absicht, eher aus Selbstschutz. Und damit ist jetzt Schluss.
Ich war nie ganz dünn, aber viele Jahre, vor den Kindern, zwischen den Kindern, nach den Kindern, schlank. Und sportlich. Neben Kindern und einer mehr als 40-Stundenwoche, einem großen Haushalt mit vielen Tieren, saß ich mindestens dreimal pro Woche auf meinem Pferd, bin ins Fitnessstudio gegangen, gewandert, mit den Kindern Rollerskates gefahren, Tennis gespielt, in der Jugend viel Ski gefahren. Und allein mein Beruf als Masseurin hat wohl verhindert, dass ich je zugenommen hab.
Dann kam die Zeit danach. Keine Massagen mehr, also keine tägliche körperliche Anstrengung, viel am Computer sitzen oder unterrichten, keine Zeit und Lust für viel Sport, Pferd inzwischen verstorben, und dann der Knaller – Schilddrüsenoperation, alles weg, plötzlich ging es mit dem Gewicht drastisch bergauf. Genauer gesagt, 28 Kilo in 8 Jahren.
Und ich habe mir eingeredet, dass mich das nicht im geringsten stören würde. Noch dazu bin ich viel in Afrika, da ist dick eher ein Schönheitsideal, na also. Rund und gesund, man hat was zum Zusetzen für schlechte Zeiten, Dicke sind ja auch viel besser gelaunt und gemütlicher, oder? Und viel wichtiger ist doch, was so zwischen den Ohren sitzt. Mein Gehirn hab ich also gepflegt, täglich, und Schuhe gekauft und Taschen, denn da ist es egal, ob man dick ist oder dünn.
Aber gekeucht hab ich. Zweimal Österreichurlaub mit Wandern und ich schaffe keine 100 Meter bergauf ohne anhalten und nach Luft schnappen. Ich bin das? Ich bin früher Bergsteigen gegangen, so richtig, ganz hoch hinauf. Kein Klettersteig war mir zu anstrengend. Und dann fingen die Schmerzen im Fuß an. Bei einem Parisaufenthalt sind wir stundenlang Stadt erkunden gegangen, in ausgelatschten Turnschuhen, denn, auch hier hab ich mich belogen, alle meine tollen High Heels oder gute Schuhe passten nicht mehr, man nimmt sehr wohl auch an den Füßen zu. Die Schmerzen wurden schlimmer, ich hab insgesamt drei Orthopäden und zwei Podologen verbraucht, mehrere Spritzen in den Fuß bekommen, zum Schluss war ich an manchen Tagen schon froh, wenn ich in hässlichen Flipflops voran kam (welche Frau kann in denen schön gehen, da sieht doch selbst ein Supermodel aus wie eine Ente).
In der Nacht bekam ich keine Luft, ich fing an zu schnarchen und ständig zu husten, mein Mann wanderte immer mal wieder ins Wohnzimmer aus. Durch das Mundatmen und den Dauerhusten aber wurde meine Stimme rau, manchmal konnte ich nicht mal zwei Stunden am Stück eine Audiodatei zu meinen Kursen aufnehmen, immer wieder Kehlkopfentzündung.
Und dabei fühlte ich mich innen drin doch noch so jung, so dynamisch. Ich wollte mit meinen Enkelkindern Rollerblades fahren, ich wollte so gern wieder ganz hinauf auf einen Berg, einige Stunden wandern, nicht nur 30 Minuten. Ich wollte wieder reiten, aber ohne, dass irgendwer den Tierschutz verständigt.
Und Kleidung? Klar, derzeit sprießen seit Jahren viele Shops mit Übergrößen aus dem Boden. Manches ist auch sehr schön, edel, immer doppelt so teuer wie das „Normale“, aber sehr viel ist auch einfach Plastik, made in China. Einfach mal spontan einkaufen, kunterbunt kombinieren, nur Jeans und T-Shirt, wie lange war das her?
War das eigentlich noch Ich? Die ich immer so stolz war auf ihre Freiheit? Alles ist möglich, du kannst alles schaffen, tu, was dir Freude macht. Großartige Ratschläge, und warum behinderte ich mich selbst? 30kg Übergewicht, das hat nichts mehr mit Freiheit zu tun. Mehr Unfreiheit geht nicht. Ist der Mensch denn verrückt?
Nein, es muss nicht die Modellgröße sein, aber ich will mich wieder bewegen können. Ich will meine Träume leben und meine Hobbies. Da tief in mir drin hab ich mein jugendliches Ich rufen gehört, lass mich bitte raus. Und daher hab ich im November begonnen, mich selbst nicht mehr ernst zu nehmen, meine Ausreden zu überhören.
Ich bin noch weit entfernt von dem, was ich mir vorstelle, 14 Kilo sind weg, weitere 10 müssen noch. Aber langsam, ich bin eine Oma, da braucht man auch Zeit wegen der
Schwerkraft und so. Aber ich komme gerade vom Wandern zurück. Ich war auf einem Berg.
Ich habe keine Schmerzen mehr im Fuß, ich passe in High Heels, wenn ich das will (die letzten zwei Wochen wollte ich nicht, da waren es richtig gute Bergschuhe, auf keinen Fall aber ausgetretene Turnschuhe mehr). Ich kaufe teilweise noch in Boutiquen mit Übergrößen und schaue nach wie vor, dass ich irgendwas darüber trage, was über die Hüften geht und lang genug ist, aber, es geht auch schon das eine oder andere Teil in „normal“.
Und demnächst geh ich eine Reithose kaufen, Rollerblades hab ich schon.
Freiheit hat sehr wohl auch damit zu tun, wie es einem körperlich geht. Und da gehört das Gewicht dazu. Belügt euch nicht. Fangt an.