Helfersyndrom

Kommt es irgendwem bekannt vor? Man postet in den sozialen Netzwerken, dass man heute mit Kopfweh aufgewacht sei, dass man sich den Zeh angestoßen hätte oder der Kreislauf spinnen würde, und schon posten Menschen, auch solche, die man nicht kennt und die gar nicht beurteilen können, vor welchem Hintergrund man solche Befindlichkeiten hat, gute Ratschläge. Kräutertees und Bachblüten, bestimmte Produkte und Wasser treten, mehr Schlaf oder Atemübungen oder gleich die Adresse eines guten Heilpraktikers. Aber haben wir denn darum gebeten?

Warum kommt bei vielen so reflexartig die Aktion, Ratschläge anzubieten. Kann das denn falsch sein?

Nicht umsonst gehört der Beruf des Energetikers, den ja viele als Gewerbe nach der Ausbildung anmelden, zu den Hilfestellungsberufen. Wir leisten – laut Gesetzestext – Hilfe zu einer körperlichen und seelischen Ausgewogenheit“. Und das gefällt natürlich allen, die tief in sich das Mutter-Theresa-Syndrom spüren. Aber ist helfen immer richtig?

Manchmal möchten Menschen einfach nur sagen, dass es ihnen heute nicht gut geht. Fertig. Nicht mehr und nicht weniger. Sie wollen höchstens noch jemanden zur Seite, der ihnen mal zuhört, wertfrei und aufmerksam. Ganz oft ist es aber so, dass man noch während man hört, eine Antwort formuliert. Dass man einen Text gar nicht wirklich liest, schon hat man eine Lösung parat. Und gerade Menschen, die frisch in einem irgendwie helfenden Beruf angekommen sind, die wollen doch auch jetzt  endlich zeigen, was sie so alles drauf haben.

Aber wie würden Sie das finden, wenn Ihr Arzt das gleiche tun würde? Sie posten was und er empfiehlt Ihnen Tabletten, Behandlungen oder gleich eine Operation. Unseriös oder? Ohne echte Diagnose, ohne vielleicht ein Röntgen. Und was, wenn der nicht einmal Medizin studiert hätte?

Wir alle schwärmen von Ärzten oder Heilpraktikern, die sich Zeit nehmen, die ein langes Gespräch mit uns führen. Auch deshalb ist die Homöopathie so beliebt und so wirkungsvoll. Und dann sind wir selbst sofort mit einer Lösung zur Hand?

Ganz nebenbei und ganz profan ist es auch kontraproduktiv, wenn wir uns dann tatsächlich mal selbständig machen. Bisher haben wir allen Freunden erwünscht oder nicht unsere guten Ratschläge gratis vermittelt, plötzlich wollen wir dafür Geld?

Ich persönlich finde übrigens am Schlimmsten diejenigen, die das Ganze dann auch noch mit Küchentisch-Psychologie auskleiden. Natürlich bin ich auch der Meinung, dass die meisten körperlichen Zustände einen seelischen Aspekt haben. Ich erinnere mich aber gut an eine Runde im Freundeskreis, wo es angeregt zur Sache ging, eine heftige Diskussion zu irgendeinem Thema. Irgendwann bin ich aufgestanden, weil ich dringend auf die Toilette musste. Und irgend so ein Möchtegern-Psychologe hat das laut interpretiert als – klar, du entziehst dich der Diskussion. Nein mein Freund, mir platzt nur irgendwann die Blase.

Nicht umsonst setzt sich das Wort Ratschlag aus den beiden Teilen Rat und Schlag zusammen. Erschlagen Sie Ihre Mitmenschen also nicht.